01. Februar 2017 — Demagogie

Ist es jetzt endlich weg, das sogenannte Draußen? Sind wir jetzt so weit drin im Ich, dass alles, was da sonst noch einmal war, egal geworden ist? Ausgezeichnet. Jetzt fangen wir an, jetzt brechen wir auf, jetzt legen wir los, jetzt jagen wir los, jetzt greifen wir an, jetzt greifen wir zu, jetzt drücken wir zu, jetzt treten wir zu, jetzt treten wir vor, jetzt treten wir auf. Das war ja einfach! Jetzt stehen wir im Licht, und das Licht ist ziemlich schön und ziemlich gleißend, ja, schon schön, wenn man eine Geschichte hat, die so groß ist, dass alles, was man selbst nicht ist, darunter verschwindet, nein, die so groß ist, dass alles, was man selbst nicht ist, darin verschwinden kann. Hat jemand was gesagt? Nein, natürlich nicht. Nein, natürlich nichts. Oder zumindest nichts, das gehört werden könnte. Draußen vor den Toren regt sich Mensch. Hast du was gehört? Nein, ich auch nicht. Den anderen ansprechen, ihn als etwas ansprechen. Oder ihm etwas absprechen? Keine Ahnung. Aber liegt das Fehlen irgendeiner Ahnung daran, dass das Denken schwer fehlt, äh, schwer fällt, weil das ziemlich schöne ziemlich helle Licht das ziemlich schöne helle Haupt so dermaßen erhitzt hat, dass der Hauptinhalt bereits dahinschied — oder daran, dass das Denken längst die Flucht ergriff? Ach, egal. Jetzt geht´s vorwärts! Das Denken auf der Flucht und die Logik mit im Handgepäck, ja, in Ordnung, das ist schon in Ordnung, denn herausgeflüchtet aus der neuen Ordnung darf hier schließlich noch werden, nur herein, das lieber nicht, auch wenn einer schon mal drin war, oder eine, ja, die erst recht nicht. Dann erst recht nicht. Wer nicht zur Familie gehört, der gehört nicht zur Familie, und eine Familie ist nur dann eine Familie, wenn sie ihre Wurzeln so fest in den Boden gegraben hat, dass da sonst nichts wuchert, wenn sie den Boden so umgegraben hat, dass diverse Dinge fließen. Oder ausfließen und das Land verseuchen. Na, das ist ohnehin schon redlich strapaziert, das Land. Diese Länder. Aber wer oder was die Plage jetzt genau ist, daran scheiden sich die Geister. Oder anders: Wessen Geist sich daran scheidet, die Plage so zu konstatieren, dass sie der alternativen Geschichte entspricht, wird postwendend ausgeschieden.

Da steht das Monster vor den Toren, mit der ganzen Sachlage im Sterntalerhemd, mit allen vielen Beinchen auf dem Fußabstreifer, damit es nicht ins Nichts hineinkippt. Das ist aber ein ziemlich kleiner Bereich, ein ziemlich großes Nichts zum Schutze der Menschheit, nein, der Menschenschaft, der einen, ganz besonderen. Monster müssen draußenbleiben. Denn das Draußenhalten, nein, das Weg- und Abschieben diverser Umstände, nein, Gegenstände, über die zu sprechen wäre, hat der Menschheit ja im Laufe der Menschheitsgeschichte bereits diverse Sternstunden beschert, also warum jetzt damit aufhören. Monster merkt an: Warum jetzt wieder damit anfangen? Egal. Sternstunde, das klingt schließlich so schön hell und besonders, da kann ich jetzt nicht nein sagen, sagt jetzt einer, ja, das klingt nach einem so dermaßen hellen so dermaßen schönen so dermaßen dummen Licht, das dir so schön hell das Haupt ausleuchtet, dass man dir deine Dummheit nicht ansieht. Das war ja einfach. Und Monster ein Gesicht von großer Dunkelheit und jetzt aber noch mal die Stimme, jetzt noch mal diese sogenannte Helligkeit: Nur skeptische Gesichter sind dumme Gesichter, weil sie sich leider dazu in der Lage fühlen, zwischen Meinung und Faktum zu unterscheiden. Oder zwischen Meinung und alternativem Faktum? Egal. Wer zwischen Gott und Gott entscheiden kann, braucht keine Fakten. Oder zwischen Gott und Ungott. Oder zwischen Untermensch und Gott. Zwischen Mensch und Unmensch. Nein, das bestimmt nicht. Oder zwischen Licht und Dunkelheit, als die zwei Optionen postfaktischer Entscheidungsfindung. Dunkelheit, du dunkler Geselle, rude, very rude, apologize! Per Dekret die Helligkeit beordert, und zwar in umfassendem Sinne, denn schließlich muss der Platz, der durch die abwesende Entscheidungsfindung in Erscheinung tritt, auch ausgefüllt und ausgeleuchtet werden. Schließlich muss der Platz, von dem aus noch etwas zu sagen wäre — etwas Rechtschaffenes vielleicht? — frei gemacht und neu besetzt werden. (Nein, lieber etwas Rechtes. Ja, das schon.) Wer nicht gehen will, der wird gegangen. Denn das lehrt uns die Geschichte unserer Sterntalerstunden ja schließlich auch: Was nicht passt, wird passend gemacht. Und wer nicht passend gemacht werden will, kann, wie gesagt, ja immer noch herausflüchten und dann nicht mehr wiederkommen. Oder einfach herausfahren, aus diversen Gründen, damit er hernach nicht mehr wiederkommen kann. Im Dienste der gesamten Menschenschaft äh, nein, der Wirtschaft. In deren Dienste er ja eigentlich hereingekommen ist. Egal. Das mit der Wirtschaft lässt sich schließlich immer sagen, auch wenn es nicht stimmt. Aber damit das hellste Licht besonders hell leuchten kann, nehmen wir so einiges in Kauf. Oder das ewige Licht? Herr, lass sie ruhen in Frieden, diese ganzen Fragen, die uns an der Ausführung der Geschichte, an der Ausführung von Geschichte, hindern, aber dort vor den Toren, bitte, wo sie ohnehin nichts ausrichten können.

Vor den Toren, weiß das Monster zu berichten, wird der Platz jetzt langsam eng. Nein, das war gelogen! Dass das gelogen war, das wurde per Dekret entschieden. Wörter müssen ja schließlich zu irgendwas gut sein. Die müssen zu was andrem gut sein, als etwas zu sagen. So viele Wörter für so viel Angst. Es ist aber auch eine ziemlich große Angst. Eine ziemlich fürchterliche Angst ist das, deswegen muss sie auch als Furcht getarnt die Weltbühne getreten. Und was ist jetzt also dieser Gegenstand, um den wir uns mit unsrer Angst hier jetzt versammelt haben, damit sie fürchterlich berechtigt ist? Keine Ahnung. Gegenständlichkeiten werden hier ohnehin nicht verhandelt, höchstens Zuständlichkeiten. Gegenständlichkeiten werden hier nicht verhandelt, aber Menschen als Gegenstände behandelt, so wie es der christliche Wertekatalog vorsieht. Na, damit genug Liebe für die Christenliebe da ist, muss sie schließlich auch wo weggenommen werden. Zum Beispiel bei denen, die der christliche Wertekatalog nicht vorsieht. Herz ist Trumpf, wenn man eines hat. Und wenn man keines hat, dann umso besser. Dann muss man nämlich keins verschenken. Und in Zuständen der Krise, die bestimmt gleich kommt, hat nur wer sich verdächtig machen will was abzugeben. Lasst uns enger aneinanderrücken, Freunde, draußen tobt die Welt! Vor den Toren staut sich Mensch. Egal. Die Namenlosen werden hier nicht eingelassen, die werden nicht hereingebeten, tut uns leid, die Namen des erlauchten Kreises hier, die sind ja leider alle schon vergeben und das Recht zu sprechen ausgebucht für dieses Jahr, aber Sie können sich gerne in diese Liste hier eintragen, ja, können das Sie machen, auch wenn das nichts bringt. Ja, in Zuständen der Krise liebst du deinen Nächsten bitte nicht so wie dich selbst. Oder nur den wahren Nächsten. Der kann die Liebe auch gut brauchen, wenn er jetzt aus seinem Loch röchelnd ins Licht kriecht, das ihm die Geschichte aus gutem Grund verwehrt hat. Da stehen sie, und das Licht ist ziemlich hell und ziemlich gleißend, fangen an, greifen an, legen los, fegen los, packen an, packen zu, treten vor allem zu, immer wenn sie auftreten. Kragen aufgestellt, Mauer hochgezogen, daran innen aufgespannt: weite weiße Fläche. Darauf dann: neue Welt, dass die echte auseinanderfällt. Schönes Licht. Ziemlich wenig Luft zum Atmen. Draußen knisterts, kratzt es, knirscht.
Das war ja einfach.


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.