03. Mai 2017 — Demagogie

Mir ist die Sprach davongehetzt. Wollt sie noch fassen, mit der Hand, und bin ihr nach, ganz aufgebracht, quer durch die Stadt und mehr noch, raus sogar aufs Land, doch jede Spur war ein Verlaufen. Wechselte die Richtungen mehrmals. Verdächtigte bald immer mehr die Anderen, die mir die Sprach entrissen hätten und gestohlen. Lief dann weiter, immer mehr verbissen. All den Richtungen in meinem Blick folgte die Unruh, bald die Wut: und wortlos war ich in der Wut, so ohne meine Sprach.

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Gesichtet in Lissabon, 30.03.17 — (c) Nina Grünberger

Nach links, nach rechts, ich wendete erneut, verlor den Halt, ein Stürzen fast, der Atem brach mir ab. Schnappte nach Luft, du kannst das, schnappte Mut, und schaffst das! Weiter also. Wollt die Sprach noch nicht verloren wissen. Kletterte auf Berge. Andre Länder, neu und weit, lagen nun vor und hinter mir. Lief weiter, rastlos in Gedanken, quer durch den gesamten Kontinent. Ich hab gespuckt, geflucht, bin mehrmals hingefallen, wieder auf! Mit offenem Gesicht, weil aufgeschürft, und laut geschrien: wer immer hier die Sprach für meine Gegenwart hat mir genommen, ich erschlag euch mit der bloßen Hand! - - - - - - - Und da erschrak ich. Über mich. In meiner Suche nach den fortgehetzten Sätzen war ich lang schon selbst, brach ab, und stoppte, atemlos. Die Hetze war lang überall. Ich stand, verloren irgendwo am Kontinent, und jetzt, in meinem Stoppen, war's, da ich sie erstmals wieder hab gehört: sie war nie weg, sie war um mich herum die ganze Zeit. Ein Rauschen, das sich nun erhob. Von überall beschallte sie den Raum, im Echo bald vermengt mit Sätzen, die ganz sicher nicht von mir, war das tatsächliche meine Sprach? Was ist geworden? Arg zerstückelt klang sie mir und völlig aus dem Sinn, verdreht, zurechtgerückt, und mir entrückt, so unnahbar und fremd. Die Worte laut. Sie setzten sich ins Trommelfell in Penetranz und zynischem Gelächter, fratzenhaftes Auftun abertausend Mäuler, so, als würd sie, meine Sprach, sich fortgeschrieben haben in die wüsteste Zerstörung der Vernunft, das war nicht ich! Ich hielt die Ohren mir und schrie: hör auf, du Sprach. Du lügst. Du stinkst. Du tust nicht gut. Warst doch mal da auf meiner Zung. Hast wollen viel. Hast ausgesagt viel mehr. An Klarheit. Ruhe. Und Gelassenheit. An Hoffnung auch. Und Utopie. Was bist so in dich aufgespalten, aufgesprengt? Die Aussichten verengt zu Angst, die Enge in der Kehle nimmt die Luft! In Sprengsätzen spricht, wer, anstatt sich einmal hinzusetzen, nachzudenken, nur danach giert, gehört zu werden. Ich schrie weiter, im Entsetzen: aufgedunsen bist und fett! Du fette Sprachenblase unklar dumpfer Masse, halt dein Maul! - - - - - - - Doch nichts. War übersehen. Wollt nichts wissen von mir oder war zu klein. Ich fasste um mich, hier den Sprachenraum begreifbar doch zu machen, irgendwas müsst doch den Widerstand mir geben, wollt nicht hinnehmen, dass reaktionslos blieb die Welt, da merkte ich's. Wie ich ins Nichts so reinschlug mit den Händen, mir noch nahm den letzten Atem, und es sank mir das Gesicht, da fiel der Blick mir (fast wär ich darauf) auf einen Klumpen unter mir, ganz abgefault und liegen lassen, ich griff hin. Ein Rest von einer Sprach. Erst unverständlich, weil nur leise und verletzt die Worte, aber unerwartet schön. Hab langsam und bedacht den Klumpen, in der Schönheit, mir in meinen Mund gesetzt, den Rest an Worten, der geblieben, und ihn heut morgen aufgeschrieben, auf Papier. Es war nur diese Zeile: Lieber Mensch, gib nie es auf, Verwegenes zu sprechen und zu tun, gerade dann, wenn Sätze in der Hetze auf den Boden fallen und zerbrechen, Kuss, in Liebe, deine Poesie.


Thomas Arzt — geboren 1983 in Schlierbach (Oberösterreich), lebt in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Schreibt Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Theaterstücke.

→ http://www.thomasarzt.at