NT. ATTAVA'S PALACE CHAMBER—NIGHT

A roaring fire, wine, silver goblets, a deep canopy bed.

Attava has been well provided for.

OUTSIDE, IN A DRAUGHTY CORRIDOR

Aaron leans like a shadow into the doorway. He knocks.

BACK INSIDE

Attava approaches. Her dressing gown gapes open, revealing her breasts. She opens the door. Aaron enters, closing it behind him and leans against it, arms folded across his chest.

AARON
I'm glad you called.

´He grabs her. She leads him to the bed and pulls him down; laughing softly, she unwraps her gown.

ATTAVA
Everything is always so… physical with you.

AARON
Oh, yes…

He climbs onto her and their forms dissolve, blend and blur in an erotic scene of ectoplasmic sex.

(Auszug aus einem unverfilmtem Drehbuch von Steve Bannon, basierend auf TITUS ANDRONICUS, Shakespeares erstem Stück, einer großangelegten Gewaltorgie rund um den titelgebenden römischen Feldherrn; in Steve Bannons Bearbeitung sollte Titus Andronicus im Weltall spielen. Für sämtliche hier verwendeten Zitate und die Recherche, Dank an die New York Times.)

Man kann ja gegen die eigene Fantasie selten viel ausrichten, denkt sich ein Chor, der sich erstmal eine Stange Zigaretten anzündet auf dem Weg nach Hause und sich freut, weil an den Bäumen wieder die Blätter sprießen und die Sonne wieder länger scheint. Mit seiner Fantasie muss man ja schließlich leben, ein Leben lang, denkt sich der Chor, ob man will oder nicht, wie mit den Erinnerungen, die waren im Prinzip ja schon immer vor einem da, die Erinnerungen, die kann man sich ja schlecht aussuchen, schön wärs, nichts, was im Leben schön ist, kann man sich aussuchen, die Erinnerungen nicht, die Träume nicht und die Fantasie auch nicht, mit der ist man gestraft, ein Leben lang. Und die Fantasie ist ja kein leeres Blatt Papier, schön wärs, denkt sich der Chor, dann könnte man als Chor sich ja alles mögliche vorstellen, sie quer beschreiben, von hinten nach vorne, von unten nach oben, mit komplett unverständlichen Zeichen, man könnte sie einrollen, einen Papierflieger daraus falten oder einfach zusammenknüllen, man könnte sie wieder auseinanderfalten und entlang der Falten sich quer über das Blatt bewegen, man könnte die Fantasie, wäre sie ein komplett unbeschriebenes Blatt, auch einfach leer lassen, sie irgendwo hinhängen, als leeres, völlig unbeschriebenes Blatt, es einrahmen und „FANTASIE“ darüber schreiben oder darunter oder auch darauf, man könnte es auch zerreißen und die Schnipsel entsorgen und sich was zum Essen machen, weil man Hunger hat, von all der fantasievollen Arbeit, man könnte das unbeschriebene Blatt auch schlicht mit Klarlack besprühen oder in Terpentin tauchen, anzünden, damit man im Dunkeln was hat, womit man sich orientieren kann, und wenn dieses unbeschriebene Blatt dann endlich im dunklen, dichten Terpentinrauch verbrannt ist, könnte man die Asche anderen Chören ins Gesicht schmeißen und ihnen sagen: Eure Fantasien kotzen mich an. Ja, es ist eigentlich kaum vorstellbar, was alles möglich wäre, wenn man wirklich ganz, ganz frei in der eigenen Fantasie sich bewegen könnte, wenn man ganz frei in seinen Vorstellungen wäre, wenn die Fantasie tief in einem drinsitzend wirklich radikal frei wäre, wenn man wirklich das Vermögen hätte, sich das vorzustellen, was man sich wirklich tief in sich drin vorstellen möchte, aber wo wäre das denn?

BRUTUS
White folks are dear. Their kibbles
’n’ bits would relieve us, but they
call us „dear“ and cast us nothing.
Our suffering’s their gain. Let’s
avenge with guns and knives. I speak
from hunger. Now... let’s do it.

The crowd CHEERS!

(Dieser und die folgenden Auszüge stammen aus einem unverfilmten Drehbuch von Steve Bannon über die L.A. Riots 1992, basierend auf dem Stück CORIOLANUS von Shakespeare. In Bannons Drehbuch sind die Heldenfiguren schwarze, maskuline Gangleader, die der Polizei Widerstand leisten, sich allerdings wie auch bei Shakespeare schließlich gegenseitig töten. Bannon nennt die Handlung im Drehbuch „a cacophony of voices chanting from the Serengeti for a lost homeland“.)

„Tief in sich drin“, denkt sich der Chor und macht dabei Gänsefüßchen mit all seinen Fingern in der Luft, während er geht, so: „tief in sich drin“? Wo ist denn das, fragt sich der Chor und schaut an sich hinab, Kopf für Kopf, Finger für Finger, Arm für Arm, Bauch für Bauch, Arsch für Arsch, Bein für Bein, Zeh für Zeh und sieht aber überall nur die Fantasie von anderen Leuten, die sich schon tief in all seine Poren eingegraben hat, all diese Blicke von anderen Chören, die man den ganzen Tag auf sich spürt, immer erschrickt man ein bisschen, wenn man mitbekommt, was andere Chöre sich über einen Chor so vorstellen, und überhaupt diese Sprache! Die hat er sich ja schon gar nicht ausgesucht, der Chor, ach, diese Scheißsprache andauernd, denkt sich der Chor, die will man doch gar nicht sprechen müssen, die ganze Zeit, man will ja eine ganz andere Sprache sprechen, schon diese Elendssprache lässt uns Chöre ja jeden Tag erneut erschrecken vor uns selbst, wenn wir Worte benutzen, die wir uns als Chöre gar nicht ausgesucht haben, wenn wir Sätze formen, die wir als Chöre gar nicht formen wollen, aber es tun müssen, um mit anderen Chören irgendwie klarzukommen, ach, diese Scheißsprache, denkt sich der Chor, und ihm wird klarer und klarer, dass er außer einer Scheißsprache und Blicken von anderen leider wirklich gar nichts „tief in sich drin“ sieht.

MARCIUS
I took your prize and had my
way; the blood you see that
covers me is not my own - it’s
Crabs’. Crank up your hated to
the skies to be revenged on me.

AUFIDIUS
Nobody could escape me!

A highly stylized and choreographed fight sequence. They go foot-to-foot, then pull out knives. AUFIDIUS flips CORIOLANUS over his back and they break into an Ultimate Fight Champions meets Hong Kong Swordplay. They fight across the roof with the inflamed city in the background.

Der Chor sieht nur die Haut, die Falten wirft, die Lippen, zwischen denen eine Stange Zigaretten hängt, lässig und kaltblütig wie der Märzwind, er sieht noch nicht einmal seine eigenen Augen, seine Wimpern, seine Wange, all das sieht der Chor nicht. Er sieht sein Geschlecht, schlimm genug, und fragt sich, warum man eigentlich als Chor das eigene Gesicht nicht sieht, die eigene Stirn und die eigenen Ohren nicht sieht, aber das eigene Geschlecht? Warum sieht man als Chor seine Brust, aber nicht seine Nase? Warum musste man den Spiegel erfinden, um sich selbst in die Augen schauen zu können, überlegt sich der Chor. Vielleicht ist es für manche Chöre auch besser, wenn die sich nicht selbst in die Augen schauen können, wenn sie ihr Gesicht nicht sehen. Nein! Moment!, denkt sich der Chor, vielleicht wäre es für die meisten Chöre viel besser, würden sie sich selbst öfter in die Augen schauen, und nicht in die Fantasie von anderen Chören hinein, aus der sie dann selbst zurückschauen, ganz entstellt, wieder tief in sich hinein, wo nichts ist, wo überhaupt nie irgendetwas je gewesen ist, dass andere Chöre dann vermeintlich verteidigen müssen, gegen andere Chöre, seien es Werte, Vorstellungen, Ansichten, Überzeugungen, die irgendjemand tief in sich drin vermutet, wo aber gar nichts ist. Tief in sich drin, da ist überhaupt nichts, denkt sich der Chor, da sitzt eine Lunge, dort ein Herz, da ein Magen, dort ein Knoten, da Nerven, hier Blut, das vorüberrauscht, dort Gewebe, im Enddarm, kurz bevor es nicht mehr das choreigene Gewebe ist, sondern Überschuss, Fremdes, das der Chor hinfortspülen wird, wie alles Fremde, das einmal ein Teil von dem Chor war, bis es ausgeschieden wurde, bis es zu einem überflüssigen Teil erklärt wurde.

AUFIDIUS says nothing but just sits back down, checks another gun’s barrel, then picks up a rod and begins cleaning it. As he talks, the gun transforms: it’s deadly, it’s sexual...

AUFIDIUS
Marcius, Marcius... you speak divinely,
cuz. Each word unweeds my heart, uproots
our ancient envy. Shall I wrap my arms
around you hotly as I did in battle? Like
with that bitch I married - (loading gun) -
when we first got it on; now my heart’s
dancing rapt as when I lay bestride her
threshold. Man, you are seducing me. We
been down together many night - times in my
dreams. And when I woke...

He pockets the loaded gun, rises, takes a beer, crosses to CORIOLANUS - and hands it to him.

Tief in sich drin ist doch nichts, gar nichts, denkt sich der Chor, nur die Vorstellungen von anderen Chören und choreigenes Gewebe, das bald als Fremdkörper ausgeschieden wird, ja, das hat man jetzt davon, denkt sich der Chor, man beginnt bei der Fantasie und landet beim Abfall, beim Rest, beim Müll, beim choreigenen Überschussgewebe, das entsorgt und hinfortgespült werden muss, wie alte Überzeugungen, Meinungen, Urteile und Ansichten, für die manche Chöre jahrzehntelang andere Chöre angeschrien haben, bis sie vergessen und entsorgt wurden, aber, denkt sich der Chor und zündet sich die nächste Stange an, das ist ja genau das Problem, dass man tief in sich drin glaubt, die bescheuertsten Ansichten anderer Chöre verteidigen zu müssen, anstatt sie als choreigenes Überschussgewebe zu identifizieren und sie dorthin zu spülen, wo keine Blätter an den Bäumen sprießen und die Sonne nicht mehr scheint. Aber so ist das mit der Fantasie, denkt sich der Chor, während er draußen, also als Arm und als Knie und als Ellbogen und als Leber, was auch immer das heißt, durchs Leben spaziert, die Sonne anschaut und kaltblütig eine Stange nach der anderen wegraucht.

GANGSTA VOICE (V.O.)
(the reading continues)
To all Crips and Bloods, let’s unite and don’t
gangbang and let it be a black thing for the
little black girl and the homie Rodney King.
An eye for an eye, a tooth for a tooth. If
LAPD hurt a black, we’ll kill two. Pow. Pow.
Pow.

Gegen die eigene Fantasie kann man nun einmal recht wenig ausrichten, die gehört immer schon anderen, die Fantasie geht nun einmal andauernd fremd, denkt sich der Chor und tritt die Stange Zigaretten aus. Andauernd hat die eigene Fantasie ihre Tentakel in der Fantasie von anderen Chören drin, andauernd haben andere Chöre ihre Tentakel in der eigenen Fantasie drin, man kann dagegen nichts machen, man versucht sich zu wehren, gegen die Vorstellungen anderer Chöre, man versucht seine eigene Fantasie „tief in sich drin“ (HA! denkt sich der Chor) gegen die Tentakel anderer Chöre zu verteidigen, aber kaum, dass man beginnt sich zu verteidigen, hat man mit diesen Tentakeln zu tun, man muss sie mit ihren eigenen Waffen bekämpfen und rutscht immer tiefer in diese ekelhaften Vorstellungen in einem selbst tief drin hinab, die andere Chöre dort hinterlassen haben, seit Chorgedenken, und immer mehr erschreckende Tentakel sprießen aus den eigenen Ansichten oder sprießen als eigene Ansichten. Da ist einfach nichts, tief in mir drin, schreit der Chor und reißt Tentakel für Tentakel heraus, nichts, nur Ansichten, die andere Chöre da hinterlassen haben. All diese Fantasien, die nicht die meinen sind, all die Überzeugungen, die nicht die meinen sind, all die Erinnerungen, die nicht die meinen sind, all diese Ideen, die nicht die meinen sind, all diese Vorstellungen, die ich aufs Schärfste zurückweise. Not in my tentacle! All diese Fremdschäm-Tentakel, all die Toten, die da ihre Spuren in mir hinterlassen haben - aber denen kann man ja leider nichts mehr sagen, den Toten, die sind da jetzt, in diesem Körper, die gilt es zu dulden, die Toten in mir drin und vielleicht ist das auch in Ordnung so? Nein! Auch das wieder so ein Tentakel. Nur, weil ich diesen Körper habe, denkt sich der Chor, muss ich noch lange nicht mit euren Vorstellungen zu diesem Körper mitlaufen. Ein Leben lang schlägt man sich mit diesen Ansichten, die in Summe und als Chor „ich“ sagen, herum und all die Bilder, die man nie wollte in seiner Vorstellungswelt, all die Ideen und Meinungen, die man ein Leben lang vor sich hertritt, lauern da unten, tief im eigenen Chorsediment drin und schreien einen an, wenn man einmal nur, für einen kurzen Moment unachtsam ist, stehen die da und springen einen an. Diese beschissenen, diese unerträglichen, diese bescheuerten Gewohnheiten einer Welt, die man sich nun einmal nicht ausgesucht hat, vergiften einen, ein Leben lang, reden einem ein, dass es eine Welt ohne die Fantasie von anderen gibt, dass überhaupt die Fantasie frei und lässig spazieren gehen kann im Frühling, aber eigentlich regnet es und abends am Fahrrad ist es arschkalt weil der Wind bläst. Die Blätter sprießen auch überhaupt nicht. Und kein Chor spaziert im April durch Berlin. Die anderen Chöre schießen hektisch und gestresst an einem vorbei, denkt sich der Chor. Frohgemut geht man hinan und stellt sich die Welt vor, aber landet nur in dieser erschreckend ektoplasmatischen Dunkelheit, wo diese schleimigen Vorstellungen nach einem greifen, hochschießen, kaum, dass man einmal mit seiner Fantasie alleine sein möchte. Aber nie ist man wirklich mit seiner Fantasie alleine. Man begegnet sich, chorisch, spricht sich an und erschrickt, weil tief in der Fantasie vom anderen Chor drin, tief hinter seinen Augen, in die man blickt, die lauern, all diese erschreckenden Tentakel aus der Fantasie anderer Chöre, die uns alle heimsuchen. Dabei, denkt sich der Chor, ist dass doch der einzige Grund, warum man eine Fantasie hat. Um etwas zu denken, was noch nicht gedacht wurde, was noch nicht einmal in der eigenen Fantasie Platz hat. Also zumindest sagen die das einem doch andauernd. Die Fantasie soll das Unmögliche denken, aber am Ende landet man dann eh wieder nur bei der Fantasie von anderen Chören, die hektisch durch aprilnasse Straßen schießen. Das Unmögliche verheddert sich in den beschissenen, beschissenen Tentakeln anderer, die tief in einem drin festsitzen und die muss man doch eigentlich überhaupt erstmal loswerden. Die Tentakel der anderen. Ja, eigentlich, denkt sich der Chor, während also die Sonne nicht scheint und auf keinen Fall die Blätter sprießen, muss man sich etwas ausdenken, das die eigene Fantasie erschöpft, das eure Scheißtentakel aus meiner Fantasie entfernt, nur, um sie dann zu überholen, und etwas zu ermöglichen, das man selbst gar nicht denken wird können, aber das für andere dagewesen sein wird, irgendwann einmal, also für ganz andere, für die man jetzt noch gar keine Fantasie hat. Aber selbst hinter diesem Gedanken sieht der Chor jetzt ein Tentakel heraufschießen und schon greift er danach, mit einer Stange Zigaretten zwischen den Lippen, weil wer raucht, kaltblütig aussieht.

LIEUTENANT
You think he’ll take the city?

INTERCUT - CORIOLANUS ON HARLEY - WITH AUFIDIUS

AUFIDIUS
All yield to him — the press, whitey,
the color aristo-cracks of his own set.
Only the trash is weak, and I think
he’ll view them as birds do fish and
take them as his due. He served the hood,
but lost it.

CLOSE ON - CORIOLANUS, riding hell-bent into the wind.

AUFIDIUS (o.s.)
Whether from bad choice, pride, or the
inability to move from war to peace, it
made him feared and hated by the media.


Thomas Köck — geboren 1986 in Oberösterreich, arbeitet als Autor und Theatermacher. Studierte Philosophie in Wien und an der FU Berlin sowie Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Mit einem Dokumentarfilmprojekt über den libanesischen Bürgerkrieg eingeladen zu Berlinale TALENTS sowie nominiert für den Filmförderpreis der Bosch Stiftung. Konzipierte Lese- und Veranstaltungsreihen in Wien, Berlin und Mannheim. War Hausautor am Nationaltheater Mannheim und erhielt u.a. den Else-Lasker-Schüler-Preis, den Dramatikpreis der österreichischen Theaterallianz oder zuletzt den Kleist-Förderpreis.

→ http://www.suhrkamp.de/autoren/thomas_koeck_14263.html