14. September 2016 — Demagogie

Sie werden sich noch wundern, was alles geht. Dass dieser Satz ein kapitaler Fehler sei, nein, gewesen sei, so lesen wir, das habe er gesagt, nein, das stimmt nicht, weil ein Satz ja nie gewesen ist. Aber so weit wird hier nicht gedacht, oder eben schon gedacht, sonst könnte man wahrscheinlich auch nicht sprechen, wie man spricht, wie er spricht, mit der Kreidestimme, mit dem Wolfsgesicht, nein, ich bin kein Wolf im Schafspelz, ich habe gar keinen Pelz. Ja, Sie werden sich noch wundern, was da humoristisch noch so alles geht mit diesem neuen Präsidenten. Oder unter diesem neuen Präsidenten? Von oben hat man die beste Aussicht. Mit der im Rücken lässts sichs gut abwarten, bis alle anderen das Handtuch werfen, abwarten und dabei abwerten, nein, abwerfen, in die eine Verkleidung hinein und aus der anderen heraus: Der Mann zieht seinen Nichtpelz aus und wirft sich in die weiße Ritterrüstung, in seinen Satzpanzer, über den man sich zwar wundern kann, an dem das Wundern, wenn es dann im Denkprozess noch Fahrt aufnimmt, aber abprallt, abperlt oder auch gern zurückgeflogen kommt als Wurfgeschoss. Was kann da die Sprache, das Schreiben anderes ausrichten, was kann sie anderes anstellen, (weil sie ja nichts abstellen kann,) als dem, was da geflogen kommt, was da geschlichen kommt, durch Tempo eine Kursabweichung zu verpassen, Drall nach wohin auch immer, na, nach rechts ja hoffentlich wohl nicht, ja, das hoffen wir, aber weil man wir sagt, weil wir wir sagen müssen, weil ich gar nicht ich sagen kann, darf ich mich, wir, darf man sich nicht wundern, was da durch die Hintertüre reinkommt, nein, aufs Dach klettert, nein, die Bühne stürmt. Das war kein Übergriff, nein, das war ein Angriff, aber auf euch, ihr Heuchler! Und das, das war ein Angriff auf mich, wird er sagen, mit der Kreidestimme, würde er - und sich verwehren gegen den Brückenschlag von rechts nach noch mehr rechts, von problematisch hin zu idiotär, von präsidial zur schweigenden Mehrheit in ihrer ganzen Kletterzeugganzheit, würde eine Grenze ziehen, wie wir eine Grenze ziehen zu dem Wir, das wir nicht sind, das trotzdem überall hereinkommt. Na gut, sage ich dann, aus dem weiten Abseits ins nicht ganz so weite Leben hinein, Sie werden sich noch wundern, was alles geht, mit Ihnen, oder doch unter? Oder drunter? Ja, Sie werden sich noch wundern, was da alles unter einen Wolfspelz passt. Nein, was da unter einen Wolf passt. Na, solange sie nichts drunter trägt, ist sie auf der sicheren Seite. Oder nur das trägt, was auch unter einen weißen Wolf passt. Ober- und Unterbekleidung. Oben- und Untenbekleidung. Das war ja einfach. Ja, wie man sich kleidet, so wird man gebettet, wie man sich bettet, so liegt man. Und der Vorteil vom SichObenWähnen im Gegenteil zum Obensein ist ja, dass man nicht tief fallen kann, weil man sich nicht in unsicherer Position befindet, sondern einen Standplatz zementiert, der der Liegeplatz des anderen auch gleich mit ist, nein, der anderen, nein, auch des anderen, da ist man flexibel. Flexibel und unfassbar fassbar.

Unser Mann zieht also seinen Nichtpelz aus und wirft sich in die weiße Ritterrüstung, mit der er dann das Feld bestellt und jede Körpergrenze ordentlich niedermäht, damit sie dann von ihm und seinen starken Männern neu errichtet werden können. Wo bleibt der Ehrenschutz für unsere Frauen, ihr Heuchler? Ja, wo bleibt der Ehrenschutz für unsere Frauen, sagen sie, fragen sie, nein, sie fragen nicht, echte Männer handeln, nein, echte Männer handeln nicht: Was man bei uns nicht macht, lässt der junge Herrenmann im mintgrünen Polohemd uns wissen, was man bei uns nicht macht, das ist Frauen provokant nachzuschauen, nachzupfeifen, nachzurufen, auch wenn Frauen in unserem Kulturkreis auch etwas freizügiger angezogen sein dürfen, Gott sei Dank, also, unsrem Gott sei Dank natürlich, ja, nicht auszudenken wäre das, wenn sich die Frauen bei uns nicht freizügig anziehen würden. Warum ziehst du dich so unfreizügig an, du Frau, du FrauFrau? Dann muss ich jetzt ja direkt davon ausgehen, dass du etwas zu verbergen hast. Ein Unfrausein zum Beispiel, eine Bombe oder eine sogenannte Hässlichkeit. Nimm dir ein Beispiel hier an unserer Probandin, auch wenn sie leider ja nur eine Puppe ist. Aber so Frauen, so schön willige, nein so schön schöne Frauen sind in freier Welt-, äh, Wildbahn leider eher selten anzutreffen. So schön schöne Frauen, die sich auch bereitwillig anfassen lassen, denn was man bei uns bestimmt nicht macht ist, Moment, ich zeige das mal vor, das ist Frauen zu bedrängen, ihnen an Po und Busen zu grapschen, ja, genau so, ja, da müssen die schon freiwillig dabeisein. Aber wenn du ein richtiger Mann bist, so ein Beschützermann, würde ich mir keine Sorgen machen, dass da eine dann nicht Ja sagt. Glück gehabt. Aber wer ein echter Ritter ist, wer ein echter Beschützer ist, der fordert dieses Glück nicht bloß heraus, der lässt zur Burgfräuleineroberung auch Taten sprechen, der lässt sich in die Niederungen einer Weiblichkeit herab, nein, auf ihnen nieder. Alles Gute kommt ja immer oben, alles Gute kommt von oben: Der Mann zieht seinen Nichtpelz aus und wirft sich in die weiße Rüstung, um der Völkerwanderung zu trotzen, die ins Lande rollt und zwar ausschließlich zu dem Zwecke, sich an Fraun und Kindern zu vergehn. Na, einer muss ja schließlich einstehn für dies Land und seine Zukunft. Denn es verhielte sich ja mit den sogenannten toleranten Gegenstimmen, lässt ein anderer Ritter verlauten, wie mit der Tabakindustrie und ihren Lügen, denn hier behaupte man ja schließlich auch, dass Rauchen gar nicht schädlich sei, obwohl natürlich anderes bewiesen wäre. Na, wenn das Gegenüber immer gleich bewaffnet ist, was will man da schon mit der Wahrheit, dann will man die ja gar nicht auspacken. Rassismuskeule, Sexismuskeule, Nazikeule. Na, da pack ich meine Keule lieber wieder ein. Ja, lass deinen Knüppel lieber eingepackt, denn dass 80% aller Täter im Familien- und Bekanntenkreis zu finden sind, muss ja keiner wissen. Family instead of feminism. Frausein, das ist vor allem Muttersein und Kümmern, denn schließlich braucht das Frausein ja auch etwas, das es ausmacht, nein, die Frau braucht etwas, das sie ausmacht, aber so, dass sie von einem Mann auf jeden Fall zu unterscheiden ist. Ein Hoch auf Männer, Frauen und die steile Kluft dazwischen! Eine Kluft, die nur ein weißer Ritter zu weißen Rettungszwecken zu überwinden vermag, um dabei auch noch ein paar weitere Tonnen Fels in den Abgrund zu treten. Ja, man muss eben Prioritäten setzen, damit der zweite Weltkrieg hier nicht fortgesetzt wird. Der zweite Weltkrieg? Ja der zweite Weltkrieg. Aber mit effektiveren Waffen. Ja, Gender-Mainstreaming verfolge schließlich die Absicht, die Geburtenrate der Bevölkerung zu senken. Wie der zweite Weltkrieg. Auf Wiedersehen Menschheit! Nein, auf Wiedersehen Menschlichkeit. Egal. Ein Hoch auf Männer und Frauen!

Was kann die Sprache, das Schreiben anderes ausrichten, was kann sie anderes anstellen, (weil sie ja nichts abstellen kann), nein ich, was kann ich andres anstellen, als aus dem Abseits (drüben die echten Männer und die echten Frauen) heraus so lange das zurückwerfen, was hier bei mir immer ins Schwarze trifft, bis der weiße Ritter, bis das Weltnetz nicht mehr recht hat: Women are most beautiful when they´re modest.

Aber das Weltnetz, das weiße weite Weltnetz hat ja schließlich immer recht, nicht wahr.


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.