14. September 2016 — Demagogie

Ich stand mit dem sogenannten Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier1 auf der Bühne und spielte die Zither. Die Zither ist jenes Instrument, das in bäuerlichen Stuben meist von bäuerlichen Kindern erlernt und vorgetragen wird, im Zupfen der Saiten. Es ist schwer, die Zither zu beherrschen, und es ist eine Schönheit, die der Zither entsteigt, wenn sie richtig gezupft am Bauerntisch steht oder auch liegt, im Schoße der Kindheit. Da ich selbst aber weder das Kind einer Bäuerin noch eines Bauern bin, und niemals die Zither, geschweige denn ein anderes Instrument erlernt hatte, stand ich auf der Bühne des sogenannten Volks-Rock'n'-Rollers Andreas Gabalier recht panisch und schwitzend in der Hitze der Scheinwerfer einer Münchner Bühne.

Es ist bitter, dass man sich Gedanken machen muss, ob man das Haus noch verlassen kann … Es ist eine große Herausforderung, vor der wir stehen … Ich muss auf euch aufpassen!

— Andreas Gabalier, Olympiastadion München, 30.07.16

Der sogenannte Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier, der aus Österreich stammt und viel von Österreich singt und auch spricht, der ja auch, so singt und spricht er am liebsten, das Österreichische in der Musik und darüber hinaus zu bewahren gedenkt, als würd es ansonsten verschwinden, stand direkt neben mir. Er sang ins Mikrofon, das seine Stimme hinaustrug, über eine Masse von Menschen, es waren 72.000 in München. Sie waren gekommen, um in Zeiten des Terrors in München und auch in der Welt, wie man sagte, nun endlich mal wieder das Schöne zu hören, ein Stunderl geschenkt zu bekommen, wie man sagte, um alles an Terror, Konflikt und problematischer Welt in München zu vergessen. Das wär doch, so sagte man letztlich, die Aufgabe von Kunst.

Der Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier, der sich somit nicht nur als Österreicher, sondern auch als ein Künstler verstand, als Bewahrer des Schönen, war eben dabei, jener Masse von 72.000 im Münchner Vergessen von Terror, Konflikt und problematischer Welt nun so richtig, wie er sagte, einzuheizen, und zwar musikalisch. Da drehte er sich um, zu mir, über die rechte Schulter. Der Gabalier schaute in mich hinein, als wolle er sagen, jetzt, lieber Bewahrer der Schönheit, du Spieler der Zither, kommt dein Moment! Denn das Vergessen des Terrors würd endlich wieder den Platz eröffnen, für das Gute, das bewahrt, für das Gute, das beschützt, für das Gute, auf das nun er, der Gabalier, aufzupassen gedachte; gleichsam als steinharter Held der Berge, der die Welt überfliegt, so zeigte es auch das Plakat zum Konzert.

Mir war also klar: es stand das Gute am Spiel, nach dem Terror in München, und ich selbst war darinnen verstrickt. Mein Einsatz auf der Zither, die ich niemals gespielt hatte, wurde erwartet, nicht als privates Gezupfe am Hausinstrument, sondern als Akt des Kollektiven. Die Zither war das Gute schlechthin. Und die Zither war in uns. So sagte er nun auch tatsächlich, der Gabalier, dass wir, die da gekommen, die Guten wären, auf die er ein Aug doch haben müsst. Durchs Mikrofon hat er's gesagt, und 72.000 trugen den Satz nun weiter hinaus, in die Stadt, und in die Welt, die dem Terror in dieser Nacht in München die Heimat als Antwort entgegensetzte.

Da entblößte sich der Gabalier den Oberkörper und sprach von dem Land, das den Bach runterginge, und er meinte wohl Österreich oder in München auch Deutschland, das Land und seine Demokratie, die ebenfalls den Bach und mit der was nicht stimme, wie er es ebenfalls nannte. Weil, wie er sagte, ein Establishment an der Macht wär, eine Schickeria, Hautevolee, die das Volk nicht höre, das Volk, das doch in der Mehrheit, das doch auch, wie er sagte und sang, eine Meinung hätt, hinter der grad heut wieder neu zu stehen sei. „A Meinung haum, dahinta stehn!“, so waren seine Worte. Und in kerniger Männlichkeit eines Heimatverteidigers stand nun über dem Volk, das ihm zujubelte, der Gabalier, und er transpirierte den Schweiß eines neu erstarkten Deutschtums.

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„Das hört Österreich - Siegeszug von Volksmusik und Schlager“ — Foto privat

Ich sah ihm zu, diesem grausigen Spiel. Und meine Hand über der Zither war unruhig und wirr. Takt um Takt war gespielt, alles wartete nun auf mich. Und jetzt erst sah ich's: ich stand in der Tracht! In Lederhose und Karohemd, rot-weiß-rot, und auch mit einem Hut, der wohl irgendwas Steirisches haben sollt, wobei ich weder als Steirer, noch in irgendeiner Tracht aufgewachsen war. Und maskiert im Ursprungsgewand vorm Ursprungsinstrument war ich mir vollkommen fremd nun und ursprungslos plötzlich, und dabei doch völlig angepasst, an die Masse. 72.000 taten auf Volksfest. Eine deutsch-österreichische Nationalkultur zeigte sich, als hätte sie nur drauf gewartet, im Kasterl der Nostalgie hängend, jetzt endlich aufgeputzt und herausgeführt zu werden.

Da schrie ich hinein, in die Musik des Gabalier, die laut nun ertönte, in der Euphorie des Nationalen, dass ich doch gar nicht das wär, was ich da schien zu sein, aber meine Stimme war zu schwach. Ich holte tiefer drum Luft, brüllte hinaus, aus mir, samt einer jämmerlichen Spucke von Widerstand; der kam aber keinen Meter weit, der Widerstand. Der Gabalier lachte in Ekstase. Ich japste: Andreas, hör auf, wir sind das doch nicht! Das Japsen verstummte. Es war alles gesagt. Da griff ich, im Sog jener Ohnmacht einer Heimateuphorie, zum Instrument eben jener Heimat, auf dem ich doch gar nie gespielt und das doch rein gar nichts mit mir zu tun, und das Licht konzentrierte sich plötzlich. Ich stand in einem Spot. Die Masse erwartete den Klang der Unschuld, die Unschuld war ich. Ich stockte. Der Hauch meines Atems im Licht. Der Schweiß des Gabalier tropfte zu Boden. Ich sah seine vereinnehmenden Augen: Auch du, mein Lieber, auch du!

Ich konnte nicht anders und zupfte die Saite. Ein Getose war die Folge. Ich erwachte in Tränen.


  1. Andreas Gabalier, geboren 1984 in Graz, ist Musiker und Massenphänomen. Sein „Volks-Rock'n'Roll“ zwischen Patriotismus und Pop begeistert über die üblichen Genregrenzen der „Volksmusik“ hinaus. Die Selbstvermarktungs-Strategie als unpolitischer „Naturbursche“ und „Volksversteher“ vermengt sich in den letzten Jahren vermehrt mit reaktionär-nationalistischen Tendenzen. Gabalier weigert sich etwa, die 2011 parlamentarisch beschlossene neue Version der österreichischen Bundeshymne zu singen, in der die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“ mit „Töchter“ ergänzt wurde. Er spricht sich u.a. für einer Rückkehr zur „alten Hymne“ aus und bekam dafür Lob vom Parteiobmann der FPÖ, Heinz Christian Strache. Der hier verfasste Beitrag bezieht sich auf ein Konzert, das Gabalier am 30. Juli 2016 vor rund 72.000 Fans im Münchner Olympiastadion gab – in der Woche nach dem Amok-Lauf eines 18-Jährigen in einem Münchner Einkaufszentrum, der als erste „Terror-Tat auf deutschem Boden“ betitelt wurde. 


Thomas Arzt — geboren 1983 in Schlierbach (Oberösterreich), lebt in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Schreibt Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Theaterstücke.

→ http://www.thomasarzt.at